Motion: Anlauf zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit
Im Jahr 2012 diskutierte das Eidgenössische Parlament letztmals die Idee, Artikel 190 der Bundesverfassung zu streichen und eine Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze einzuführen. Dieses Anliegen wurde bereits 1999 im Rahmen einer Justizreform erwogen, fand aber keine Mehrheit.
In den letzten fast 10 Jahren wurde jedoch keine Lösung gefunden, um die Lücke im Schutz individueller Grundrechte und der föderalen Ordnung zu schließen. Die aktuelle Verfassung verbietet es, Bundesgesetze auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen und die Verfassung durchzusetzen. Wenn Artikel 190 BV gestrichen wird, könnte ein Gericht in einem konkreten Fall die Anwendung eines Bundesgesetzes verweigern, wenn es gegen die Verfassung verstößt.
Aktuell können nur die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgelegten Grundrechte vor Bundesgerichten gegenüber dem Bundesgesetzgeber durchgesetzt werden. Andere in der Bundesverfassung verankerte Grundrechte wie Eigentumsrechte, Wirtschaftsfreiheit, Rechtsgleichheit usw. können nicht in gleicher Weise geschützt werden.
Die Aufhebung von Artikel 190 BV würde auch den Föderalismus stärken, indem den Kantonen die Möglichkeit gegeben wird, die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung gerichtlich zu überprüfen, was derzeit nicht möglich ist.
In den letzten 10 Jahren gab es Situationen, in denen selbst in der Bundesversammlung die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung in Frage gestellt wurde. Die fehlende individuelle Rechtsdurchsetzung, insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19, führte zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung.